Gruber, Andreas - Das Eulentor


Titel: Das Eulentor
Autor: Andreas Gruber
Seiten: 318, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-89840-273-6
Verlag: BLITZ-Verlag 2008
Rezension: Frank Drehmel

Neben “Sherlock Holmes im Reich des Cthulhu” von Klaus-Peter Walter sowie der von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser herausgegebenen, zweibändigen Anthologie “Als ich tot war” ist Andreas Grubers “Das Eulentor” der vierte Band der neuen Hardcover-Reihe des Blitz-Verlags. Wie schon Walter so führt auch Gruber den Leser in das beginnende 20. Jahrhundert.

1911 organisiert der junge österreichische Arzt Alexander Berger unterstützt von dem deutschen Kartographen Jan Hansen eine Expedition in die Arktis, um im Auftrag eines Verlages das ungenaue Kartenmaterial Fridtjof Nansen zu überarbeiten.

Doch was als 1700 km langer Fußmarsch geplant war, endet schon nach wenigen Hundert Kilometern, denn nicht nur die ungewöhnlich starke Kälte machen von Beginn an das Fortkommen anstrengend, auch Unglücks- und Todesfälle sowie der Verlust von Ausrüstung überschatten das Unternehmen.

Kurz vor Abbruch der Expedition entdecken die Arktisreisenden auf einem Felsplateau einen runden, künstlichen, senkrecht in die Tiefe führenden Schacht. Auf eine nähere Untersuchung dieses Phänomens müssen sie jedoch zunächst verzichten, da das bloße Überleben oberste Priorität hat.

Ein Jahr später, 1912, kehren Berger und Hansen, die Dank des couragierten Eingreifens eines Schiff-Kapitäns als einzige die erste Expedition überlebten, mit einem neuen, größeren Team und ausgestattet mit frischen Geldmitteln zum Schacht zurück, um ihn mit wissenschaftlicher Akribie seine Geheimnisse zu entreißen. Zunächst bauen sie mit Hilfe isländischer Arbeiter eine komplexe Infrastruktur aus Holzhütten und Werkstätten auf, um sich dann in den Schacht durch das Anlegen hölzerner Plattformen allmählich nach unten zu arbeiten.

Der anfängliche Optimismus schwindet jedoch, als nach vielen Monaten die Grenzen des Materials - von Seilen und Fördereinrichtungen - erreicht werden, ohne dass sich ein Grund in der Tiefe abzeichnet. Erst als ein gewisser Brehm, seines Zeichens Ingenieur, im Auftrag der Projekt-Finanziers die Leitung der Erkundung übernimmt, kommt neuer Schwung in das Unternehmen. Doch auch trotz modernster Techniken wie dieselbetriebener Gondeln gibt der Schacht seine Geheimnisse nicht Preis. Im Gegenteil: je weiter man vordringt, desto merkwürdigere physikalische Phänomene treten auf, bis man schließlich eine Tiefe erreicht, in der Lebewesen dem Irrsinn verfallen und sich physisch verändern.

Obgleich “Das Eulentor” wie Walters “Sherlock Holmes”-Roman an der Wende zum 20. Jahrhundert angesiedelt ist, wohnt Grubers Geschichte eine vollkommen andere Grundstimmung inne.

Erstens bedient sich Gruber einer deutlich zurückhaltenderen, konventionelleren Diktion als Walter. Sein Schreibrhythmus ist gleichförmiger, weniger pointiert, die Wortwahl der Handlung und dem Hintergrund zwar angemessen, jedoch erscheint sie weniger reichhaltig. Nichtsdestotrotz versteht es auch Gruber, den Leser - auf eine ruhigere Art - mitzureißen.

Zweitens ist der Grundkonflikt ein gänzlich anderer. Nicht der Kampf “Mensch gegen Mensch” respektive “Verstand gegen Verstand” stehen im Mittelpunkt, sondern das einsame Ringen des Menschen mit der Natur bzw. mit äußeren Umständen, die sowohl außerhalb seiner Kontrolle, als auch außerhalb seiner Erkenntnisfähigkeiten liegen. Bergers Kampf ist kraftvoller und archaischer, deutlich stärker vom bloßen Willen geprägt als Holmes Suche nach Wahrheit; und anders als bei der Figur des englischen Detektivs wohnt seinen Handlungen jederzeit die Möglichkeit des Scheitern inne.

Der dritte grundlegende Unterschied ist die Rolle der Technik innerhalb der Geschichte: während Walter seine Protagonisten geradezu euphorisch von den Errungenschaften der Neuzeit schwärmen lässt und seinen Roman ein Hauch von Steampunk durchdringt, unterstreicht bei Gruber die Technik das Scheitern der Protagonisten. Selbst modernstes Ingenieurwissen - immer auf den damaligen Zeitraum bezogen - versetzt sie nicht in die Lage, die fundamentalen Fragen, die der Schacht aufwirft, zu beantworten, sondern bring sie dem Verderben lediglich Meter um Meter näher.

“Das Eulentor” lebt nicht von plakativer Gewalt, sondern von der düsteren Atmosphäre, der langsamen Eskalation des Grauens, das ganz allmählich und subtil - wie nebensächlich, in kleinen Andeutungen - in die Geschichte einsickert, sowie von der Hilflosigkeit der Protagonisten angesichts eines Phänomens, das bis zum Schluss unerklärt bleibt. In sich ist Grubers Geschichte so unheimlich stimmig oder stimmig unheimlich, dass insbesondere Spieler des Chtulhu-RPG ihre Freude daran haben dürften, weil sie das Abenteuer fast einzueins nachspielen können.

In seiner Aufmachung bietet Grubers Roman sowohl Licht als auch Schatten. Cover-Bild und Cover-Gestaltung sind exzellent, auch wenn sich das ausdrucksstarke Motiv nur mit einiger Interpretation auf die Geschichte beziehen lässt. Die Papierqualität ist bedauerlicherweise nur durchschnittlich und das Layout in der Dimensionierung der Seitenränder sehr großzügig. Dafür illustrieren drei Grafiken bzw. Collagen des Künstlers Mark Freier den Text, deren magischer Realismus den Leser - trotz Kleinformat und Schwarweiß-Druck - sofort in seinen Bann zieht.

Fazit: Subtiler Horror und die düstere, beklemmende Atmosphäre machen “Das Eulentor” zu einer empfehlenswerten Lektüre für Genre-Fans.